von Sabine Ferenschild, Friedel Hütz-Adams und Pedro Morazán
Morgens rein in die Klamotten, deren Baumwolle aus Mali kommt; das Handy zur Hand, in dem Rohstoffe aus dem Kongo verarbeitet wurden; zum Frühstück ein leckerer Schokoaufstrich mit Kakao aus Westafrika. Ohne es bewusst zu merken, ist unser Alltag mit Produkten verbunden, die ihren Ursprung oder einen Teil ihres Ursprungs in Afrika haben. Immer häufiger achten Europäer*innen dabei auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards. Das bedeutet, dass die Baumwolle kontrolliert ökologisch angebaut und nach Möglichkeit auch Fairtrade zertifiziert sein soll. Die Rohstoffe für das Handy sollten aus zertifizierten Minen stammen und möglichst ohne Menschenrechtsverletzungen abgebaut worden sein. Der Kakao aus Westafrika sollte auch auf jeden Fall als nachhaltig zertifiziert sein – ob dies nun Fairtrade oder Rainforest Alliance ist.
Die EU ist insbesondere bei Agrarprodukten ein zentraler Abnehmer von Waren aus afrikanischen Staaten. Besonders deutlich wird dies im Kakaosektor: ungefähr die Hälfte des in Afrika geernteten Kakaos geht in die EU. Auch bei anderen Agrarprodukten wie auch bei mineralischen Rohstoffen hat die EU weiterhin eine große Bedeutung als Abnehmer und daher auch eine große Verantwortung bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit.
Zertifizierungssysteme und Preisdruck
Für die Entwicklung einer solchen “nachhaltigen Wertschöpfungskette” spielen Zertifizierungssysteme – trotz aller Probleme – in einigen Bereichen seit langem eine wachsende Rolle bei vielen afrikanischen Exportprodukten: Cotton made in Africa (CmiA), ein in Deutschland entwickelter Nachhaltigkeitsstandard für den Anbau von Baumwolle in Afrika, zertifizierte im Jahr 2018 zum Beispiel rund 37 % der afrikanischen Baumwollproduktion. Bis auf die Ebene der Spinnereien garantiert der Standard eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Baumwolle, nur findet diese Prozessebene größtenteils bereits nicht mehr auf dem afrikanischen Kontinent statt: Von den 138 Spinnereien und Stoffproduzenten, die CmiA für die Verarbeitung von CmiA-Baumwolle registriert hat, befinden sich nur 11 in afrikanischen Ländern (Ägypten, Äthiopien, Benin, Ghana, Lesotho, Mauritius, Marokko, Mosambik, Uganda).
Bei anderen „nachhaltigen“ Produkten finden wir ein ähnliches Bild: Mehr als ein Drittel der Kakaoernte ist mittlerweile zertifiziert, bei Kaffee, Bananen oder Ananas ist der Anteil jedoch weit geringer. Viele dieser Produkte enden auf dem europäischen Markt. Ein Kernproblem auch für die Nachhaltigkeitsstandards ist jedoch, dass die Ware dennoch möglichst billig sein soll. Umfassende Nachhaltigkeit kann daher keiner dieser Standards garantieren, da man sich immer noch in einem Marktumfeld bewegt, das maßgeblich an Preisen orientiert ist.
Die Wirkungen der Zertifizierungen sind sehr unterschiedlich, da sie verschiedene Zielsetzungen haben. Letztendlich ist die Voraussetzung einer Zertifizierung die Aufstellung von Nachhaltigkeitskriterien, deren Umsetzung durch Bäuerinnen und Bauern oder Produktionsbetriebe, die Kontrolle der Umsetzung und schließlich der Verkauf von Waren mit einem Label.
Die Definition und die Operationalisierung des Begriffes „Nachhaltigkeit“ bzw. des Begriffes „nachhaltige Landwirtschaft“ ist allerdings immer noch eine strittige Frage. Konsens besteht darin, dass der Begriff Nachhaltigkeit aus drei Dimensionen besteht: eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische Dimension. Unternehmen bevorzugen jedoch häufig die Nachhaltigkeitsstandards, die am wenigsten Zusatzkosten verursachen. Die Umsetzung der sozialen und ökologischen Dimension von Nachhaltigkeitsstandards gerät dadurch massiv unter Druck.
Zudem scheinen Nachhaltigkeitsstandards die Strukturen des Weltmarkts bisher nicht durchbrechen zu können, in denen afrikanische Staaten Rohstofflieferanten für globale Wertschöpfungsketten sind. Der Profit fällt am Ende der Kette an: genäht wird das T-Shirt in Asien, der Kaffee wird in Hamburg geröstet, die Schokolade in der Schweiz hergestellt. Eine hohe Wertschöpfung findet auch bei Produktdesign und Marke statt, also ebenfalls in Europa oder Nordamerika. Genau hier setzen afrikanische Entwicklungsstrategien an, die einen größeren Teil der Wertschöpfung in Afrika aufbauen wollen: Im Rahmen der „Pan-African-Cotton-Roadmap“ von 2015 entwarfen afrikanische Staaten zum Beispiel eine Strategie zum Aufbau einer textilen Kette auf dem Kontinent und damit zur regionalen Verarbeitung afrikanischer Baumwolle.